Kunst und Aktivismus im ITZ

Im ITZ eröffnet am 5. November 2022 das „Hotel of Change“! In der Produktion des Performancekollektivs STEREO AKT stehen die ungarischen Performer*innen gemeinsam mit aktivistisch aktiven Menschen der Stadt auf der Bühne. Die Fragen an Regisseur Martin Boross und Dramaturg Gábor Thury stellte ITZ-Dramaturgin Jana Gmelin. 
Bildschirmfoto 2022 10 28 um 10.49.24Die Performer*innen von STEREO AKT: László Göndör, Luca Borsos, Máté Martinkovics, Emina Messaoudi (v.l.)
STEREO AKT - wer seid Ihr, was macht Ihr, wie arbeitet Ihr?

Martin Boross: Wir haben STEREO AKT bereits 2013 gegründet und uns seitdem zu einem der etabliertesten Kollektive in Ungarn entwickelt - trotz der Herausforderungen, die es mit sich bringt, wenn man unabhängiges, zeitgenössisches Theater macht! Wir experimentieren in unserer Arbeit mit verschiedenen Formen und Ästhetiken. Dazu gehören Produktionen im Stadt- oder Theaterraum, Flashmobs oder auch Filme. Was jedoch immer gleich ist: wir versuchen etwas zu erfinden, das an die Realität des Publikums andockt. Unsere Arbeiten sind oft politisch und fokussieren sich auf die jeweilige Gemeinschaft, in der sie entstehen. Auch arbeiten wir zunehmend dokumentarisch und mit sogenannten Expert*innen des Alltags - wie hier mit Aktivist*innen aus Tübingen! Die Erzählungen und Texte der Stücke entstehen dann immer in kollektiven Prozessen mit dem gesamten Kreativteam. 

Wie ist es zum Konzept der Produktion „Hotel of Change“ gekommen? Was hat Euch bewegt und motiviert?

Gábor Thury: Die Produktionen von STEREO AKT adressieren immer Themen mit politischer und sozialer Relevanz. Uns hat uns hier besonders interessiert, was und wer die „Maschinen“ gesellschaftlicher Veränderung sind und wer die Impulse für einer sensiblere und inkludierende Gesellschaft geben kann. Vielleicht stammt dieses Interesse daher, dass wir in Ungarn leben, wo die Frage, wie ein System verändert werden kann und wie die Hoffnung auf Veränderung bewahrt werden kann, gerade sehr präsent ist. Wir wollten Performer*innen und Aktivist*innen zusammen auf die Bühne bringen, um nicht nur ihre persönlichen Geschichten erzählen zu können, sondern auch um einen Begegnungsraum zwischen Aktivismus und Theater zu schaffen. Denn beide Bereiche haben viel miteinander zu tun! Wir teilen uns gewisse Realitäten und Konflikte, so wie z.B. die Leidenschaft für unsere Arbeit, die Opfer, die man für die Arbeit bringt und die Burnout-Gefahr, die in der Selbstaufgabe liegen kann.

Wie sind Eurer Meinung nach Kunst und Aktivismus miteinander verknüpft?

GT: Kunst und Aktivismus haben eine lange, gemeinsame Geschichte und sind auf viele Arten miteinander verbunden. Was für uns im Kontext dieser Produktion besonders interessant war, ist das Streben nach Veränderung, das sowohl die Kunst als auch den Aktivismus immer bewegt. Jede*r Aktivist*in will die Welt verändern und in verschiedener Ausmaß will das auch die Kunst. Aktivismus und Kunst können Gedanken, Emotionen oder Empathie anregen, dringende Fragen stellen und des Status Quo befragen. 

MB: Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass sie der Job bzw. die Mission extrem im Lebensstil der Menschen widerspiegelt: Die Gefahren von Selbstausbeutung oder finanzieller Instabilität sind sowohl bei Künstler*innen als auch bei aktivistisch aktiven Menschen sehr präsent. Auch werden Im Theater und im Aktivismus Geschichten erzählt, und das immer und immer wieder. Es sind sie Geschichten, die für diese Menschen die gerade wichtigsten sind. 

Wie war die Arbeit mit den Menschen vor Ort? 

MB: Es ist gar nicht so leicht, als Gast in einer Stadt in dieser kurzen Zeit Wurzeln zu schlagen. Wir haben zunächst einen Open Call veröffentlicht, darauf folgten verschiedene Workshops. Wir haben mit vielen Menschen über die unterschiedlichsten Bereiche gesprochen, in denen sie sich aktivistisch engagieren; von Umweltthemen, über den Anti-Rassismus und die Fragen nach bezahlbarem Wohnraum, bis hin zu Themen der LGBTQIA+-Community. Wir haben die Gemeinschaften dahinter langsam kennengelernt und gesehen, wie alles miteinander verbunden ist - sowohl auf einer persönlichen Ebene, als auch ideologisch! Eine unserer Teilnehmer*innen sagte dazu mal: „Man kann nicht nur eine einzige Sache verändern. Es braucht einen Domino-Effekt.“ In den Proben haben wir dann persönliche Geschichten und Erfahrungen der Aktivist*innen gesammelt und bekamen so einen tieferen Einblick in die Menschen selbst und ihre Themen, für die es sich lohnt, hier in Tübingen zu kämpfen.

Ihr arbeitet bereits zum zweiten Mal am ITZ! Wie gefällt Euch Tübingen?

GT: Von unserer letzten Produktion hier im Jahr 2019, „European Freaks“, kannten wir die Stadt bereits und fühlten uns schon ein wenig verbunden, aber durch den Austausch mit den vielen inspirierenden Menschen der Stadt konnten wir Tübingen ganz anders kennenlernen. Wir freuen uns sehr, hier zu sein und diese Möglichkeit zu haben!