Theater am Übergang zwischen Tag und Nacht

Das Tübinger Sommertheater 2023 steht in den Startlöchern: am 1. Juli feiert das Stück "Irrlichter. Ein Sommernachtstrauma" auf dem Parkplatz hinter dem Schlachthof nahe des Österbergs Premiere! Das ITZ-Ensemble hat Dramaturgin Jana Gmelin einige Fragen beantwortet. 

Foto Interview2Das ITZ-Ensemble im Bühnenbild (v.l.): Seraina Löschau, Roman Pertl, Lauretta van de Merwe, Eva Lucia Grieser und Morris Weckherlin

Das Zimmertheater richtet unter der aktuellen Intendanz zum ersten Mal das Tübinger Sommertheater aus. Was bedeutet das für das Haus und für Euch als Schauspieler*innen?

Roman Pertl: Sommertheater ist immer ein großes Spektakel für die Theater und das Publikum. Was man ab der Premiere meist nicht sieht ist, wie viel mehr an Planung und Vorbereitung in so ein großes Projekt fließt. Für mich als Spieler ist es toll, weil ein neuer Ort auch neue Spielmöglichkeiten bietet. Aber man muss sich auch erstmal auf die Umgebung einstellen.

Seraina Löschau: Ich liebe die Intimität unserer Spielstätten in der Bursagasse und im Löwen, aber ich freue mich auf nun knapp 200 Zuschauer*innen (hoffentlich) jeden Abend und den echten Bühnenhimmel.

Morris Weckherlin: Ich freue mich wie ein kleines Kind darauf, im Freien zu spielen und mit dem Publikum den Sommer zu verbringen. Gleichzeitig herrscht zurzeit eine große Aufregung, das ITZ gleicht einem Bienenstock - in unserem kleinen Team sind ja alle irgendwie beteiligt.

Eva Lucia Grieser: Sommertheater bedeutet in erster Linie viel Spaß und viel Arbeit! Es ist für alle sehr spannend, an einem völlig neuen Ort in Tübingen unter so anderen Bedingungen Theater zu machen.

Lauretta van de Merwe: Man kommt mal raus aus dem schwarzen Raum und hat Luft zum Atmen - wortwörtlich als auch im übertragenen Sinne: das Sommertheater steht ja auch so ein bisschen für absolute Freiheit um groß zu denken und Quatsch zu machen.

 

Inwiefern unterscheidet sich eine Open Air Inszenierung von einer üblichen Bühnenproduktion? 

MW: Open Air ist größer, bunter, lauter, wilder, fulminanter. Spannend ist, dass aber nicht wir das Zepter in der Hand haben, sondern die Natur: Wir sind vom Wetter abhängig – und der Sonnenuntergang bestimmt das Licht unserer Bühne. Wir spielen uns in die Nacht hinein und gehen also ganz mit der Natur.

EG: Wir sind dem Wetter komplett ausgesetzt, das ist aber nicht nur Nachteil sondern setzt auch neue Kräfte in Bewegung und regt beim Proben ganz andere Fantasien an.

RP: Auch die Umgebungsgeräusche kann man nicht beeinflussen. Bei einer Bühnenproduktion würde man die Türen und Vorhänge zuziehen, um konzentriert eine Szene zu probieren. Open Air geht das nicht. Sommertheater ist auch immer eine Übung in Demut. Gleichzeitig ist die Bühne um einiges (!) größer als unsere Haus-Bühnen. Es ist ein irres Gefühl, richtig laufen zu müssen um von einer Seite zur anderen zu kommen. Die Bewegungsfreiheit genieße ich sehr.

SL: Und es ist immer diese besondere Atmosphäre des Sommerabends im Spiel, diese Lebendigkeit. Und mensch schwitzt natürlich deutlich mehr.

 

Worum es im Stück "Irrlichter. Ein Sommernachtstrauma“?

MW: Der verwunschene Wald aus Shakespeares Zeiten ist durch das Wirken der Menschen zu einem Schrottplatz geworden, die Waldwesen sind schon lange tot. Zwei Menschen aus der Zivilisation wollen nun dort ihre Campingzelt aufschlagen – doch die Natur holt sich ihr Territorium langsam zurück und ein hungriges Bakterium greift, angestachelt von Waldgeist Puck, um sich. 

LvdM: Anhand dieser Geschichte erzählen wir über den Menschen und die Natur: Gehören wir als Menschen zur Natur oder haben wir uns eigentlich von ihr abgekapselt? Wie gestaltet sich unsere Verantwortung gegenüber der Natur? Sind wir wirklich die rationalen Wesen, die wir behaupten zu sein? Irrlichtern wir nicht auch nur in der Welt herum und konsumieren blind wie Bakterien alles, was wir in die Finger kriegen?

SL: Wir thematisieren damit auch die Irrungen und Wirrungen menschlichen Begehrens – das für unsere Spezies zentral bleibt, auch wenn dieser Planet unter unseren Füßen verglüht.

 

Welche Figur spielt Ihr jeweils und was geschieht mit ihr im Verlauf des Stücks?

SL: Ich spiele ein Bakterium der Art Halomonas Titanicae, welches einen kurzen Ausflug ins Menschsein unternimmt, und keine für uns schmeichelhafte Bilanz daraus zieht.

EG: Meine Figur ist Zettel, der Schrotthändler. Er lässt sich auf eine wilde, kurzweilige Affäre ein und ist danach nicht mehr derselbe.  

MW: Ich spiele Lysander, die eine Hälfte von Shakespeares Liebespaar, der im Wald mit seiner Freundin He campen will – und dort aber vom Bakterium infiziert wird und eine sonderbare Verwandlung durchmacht. 

LvdM: Ich spiele He, eine städtische Frau aus einer gutbürgerlichen Familie, die mal aus dem Arbeitsalltag ausbrechen will und jetzt ihre naiv romanischen Ideen von Natur und Verbundenheit einfordert.  

RP: Ich spiele den letzten überirdischen Waldgeist Puck. Er ist sozusagen der Spielmacher und beginnt das Stück mit einem grandiosen Plan. Ob der wirklich aufgeht, will ich nicht verraten, aber Puck und ich haben eine Menge irrwitzigen Spaß daran, wie alle anderen sich ins Chaos verzetteln, dass Puck ausgelöst hat.

 

Wie Ihr schon angedeutet habt, thematisiert das Stück das Verhältnis von Mensch und Natur. Wie tut es das? Was nehmt Ihr persönlich aus der Arbeit mit?

LvdM: Ich finde es immer wieder faszinierend ein Theaterstück zum Thema Natur, Klima und Natürlichkeit zu machen, wo doch das Theater eines der unnatürlichsten Dinge ist, die ich mir überhaupt vorstellen kann. Sich so sehr mit dieser Thematik auseinander zu setzen, stellt mich immer wieder vor der Frage: wie viel Raum darf ich einnehmen, als Mensch und als Künstlerin? Darf ich Kunst machen, wenn ich dabei Ressourcen verbrauche, die die Erde nicht mehr für mich hat? Oder ganz radikal formuliert: Wäre es zum Erhalt des Lebens und der Biodiversität auf dieser Erde nicht besser, einfach auszusterben? 

RP: Ich nehme mit - und das verhandelt meine Figur auch -, dass der Mensch sich unglaublich wichtig nimmt und nicht begreifen kann, was wäre, wenn er/sie nicht die Hauptrolle spielt. Selbst in der Verbindung mit der Natur muss der Mensch sich und seine Problemchen in den Vordergrund rücken.

MW: Das Setting beschreibt eine dystopische Welt, in der der Mensch in seiner Hybris behauptet, sich von der Natur losgesagt zu haben. Doch die Geschichte zeigt, was für ein Irrtum das ist, denn die Natur holt sich die Menschen auf eine groteske Art und Weise zurück.

EG: Natur und Menschen sind nicht voneinander getrennt zu denken, alle Lebewesen sind irgendwie voneinander abhängige Strukturen. Alles steht in einem Verhältnis zueinander und der Mensch steht nicht systemfremd über den anderen und kann schalten und walten - am Ende beißen uns unsere Entscheidungen in den Arsch.

SL: Der Waldgeist Puck lässt in seinem Experiment „eine Spezies auf die andere los“. Ich frage mich: Wie kann ich gerechter leben – interspezifisch, global und intergenerativ?

 

Welche Herausforderungen gab es für Euch während der Proben?

LvdM: Die Hitze! Aber, da sollten wir uns wohl dran gewöhnen, nicht wahr? 

MW: Unter diesen sommerlichen Bedingungen die Konzentration aufrecht zu halten, kreativ und körperlich aktiv zu sein, war eine echte Herausforderung. Aber immerhin hat es kaum geregnet, das wäre bedeutend umständlicher gewesen!

RP: Bei Open Air Theater muss man sich außerdem im Vorfeld immer ziemlich viel vorstellen, wie es im Original ein wird. Wie ist es, wenn auf dem Parkplatz dann Tribünen stehen? Wie ist es, wenn ich mit Mikroport spreche und mich die Kolleg*in dann auch auf 20 Meter versteht? Wie ist es, wenn langsam die Sonne untergeht und Scheinwerfer dazu kommen? 

SL: Mich hat meine Rolle sehr herausgefordert: Wie spielt man ein Bakterium? Wie unzulänglich ist dieser Schauspielerinnenkörper! Keine Zellteilung, keine Geißeln, nur Arm und Bein.

 

Was kann das Publikum auf der Bühne erwarten? 

EG: Ein bisschen Versmaß, viel Live-Musik, den magischen Übergang vom Tag in die Nacht,…

RP: …eine Menge anarchischen Spaß und herzzerreißende Liebesgeschichte(n?)…

MW: …und das alles mit einer Prise Klimakrise und Naturphilosophie!